„Willkommen am größten Tagebauloch der Welt. Sie erleben hier Dinge, die es in der Welt noch nie gegeben hat, mit Folgen, die es so auch noch nie gegeben hat.“ So begrüßte Hans Stenzel, seit 25 Jahren Mitweltbeauftragter des Kirchenkreises Jülich, die große Besuchergruppe aus Oberberg am Aussichtspunkt des Braunkohlebaus Garzweiler II. Bis zum Jahr 2045 sollen hier 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle abgebaut und in den nahen Kraftwerken verstromt werden.
Das Klimabündnis Oberberg und die Bürgerinitiative Oberberg Süd für den Atomausstieg und die Energiewende hatten gemeinsam zu dieser Informationsfahrt ins rheinische Braunkohlerevier westlich von Köln eingeladen. „Wir wollen zeigen, dass unser Strom nicht einfach der Steckdose kommt. Die Verbraucher sollten wissen, was es für Menschen und Natur bedeutet, dass 30 Prozent unseres Stroms aus Braunkohle erzeugt werden“, so Manfred Fischer, Umweltbeauftragter des Kirchenkreises An der Agger. Mit Ausblick auf das bis zu 300 Meter tiefe Riesenloch, das sich weit über den Horizont hinaus erstreckt, erläuterte Bergbauingenieur i.R. Hans Stenzel die verheerenden ökologischen Folgen des Tagebaus. Irreparabel zerstört wird die Grundwasserlandschaft des Venloer Beckens bis zum Pariser Becken und ins Bergische. Das gefährdet die Wasserversorgung der niederländischen Nachbarn ebenso wie die Grundwasserversorgung und die Landwirtschaft. Pro Jahr werden 1 Milliarde Liter Trinkwasser abgepumpt – eine Menge, mit der Hamburg 12 Jahre versorgt werden könnte. Vor Ort entsteht zudem eine krank machend hohe Feinstaubbelastung. Dabei, so erläuterte Hans Stenzel, der den Widerstand gegen den Tagebau in den Gemeinden der angrenzenden Evangelischen Kirchenkreise seit Jahrzehnten koordiniert, ist die Stromerzeugung aus Braunkohle ein Klimakiller ersten Ranges: Pro Tonne Braunkohle werden 1,1 Tonnen CO2 freigesetzt. Zudem hat die Braunkohle eine ausgesprochen niedrige Energieeffizienz von nur 12 bis 20 Prozent. Die anschließende Fahrt durch gespenstisch leere Dörfer, die auf den Abrissbagger warten, zeigte neben der bereits begonnenen Verlegung der A4 und der bevorstehenden Zerstörung fruchtbarsten Ackerlandes auch die sozialen Folgen des Braunkohleabbaus: Trotz der unlängst von der Landesregierung beschlossenen Kappung von Garzweiler II werden fünf weitere Dörfer umgesiedelt. Verbunden sei das, so Stenzel, mit enormen finanziellen Verlusten und der Zerstörung gewachsener sozialer Strukturen. „Das ist ja ökologisch und menschlich gesehen purer Wahnsinn“, so der Kommentar einer Teilnehmerin.
Dass der Tagebau für den Betreiber auch wirtschaftlich keinen Gewinn bringt, erläuterte Hans Stenzel im weiteren Verlauf seiner von großer Fachkenntnis und Leidenschaft für die Bewahrung der Schöpfung geprägten Ausführungen. Aufgrund sinkender Strompreise und der wachsenden Konkurrenz der regenerativen Energie hat der Betreiber RWE nämlich enorme Absatzprobleme und ist erstmals in die roten Zahlen geraten. Zahlreiche Windräder, die zum großen Teil in Bürgerhand sind, sorgen zudem dafür, dass der Kreis Heinsberg, in dem der Tagebau Garzweiler II hauptsächlich liegt, sich inzwischen vollständig mit regenerativer Energie versorgen kann. Ein auch RWE vorliegendes Gutachten von Prof. Dr. Christian Hirschhausen besagt, dass ein Weiterbetrieb des Tagebaus spätestens in 5 Jahren zum Verlustgeschäft wird. Stenzel hofft darauf, dass die Konzernführung den Tagebau schneller als geplant einstellt und weitere Dörfer vom Abriss verschont werden. Aufgrund bisheriger Erfahrungen mit dem Konzern zeigte sich Stenzel aber skeptisch, dass eine Wende hin zu regenerativer Energieerzeugung schnell genug vollzogen wird. Dass mit dem Ende des Tagebaus die Langzeitfolgen keineswegs erledigt sind, erfuhren die Besucher aus Oberberg am bereits stillgelegten Tagebau Inden. Der soll sich laut RWE durch Flutung mit dem Wasser der Rur in einen der größten Seen NRWs verwandeln, im Volksmund „Inde‘scher Ozean“ genannt. Da die benachbarten Niederlande gerichtlich bestätigte Ansprüche auf Wasser aus der Rur haben, ist fraglich, ob das Riesenrestloch – wenn überhaupt – bis 2070 befüllt sein wird. Neben der Gefahr von großräumigen Bodenverwerfungen bleiben zudem die sogenannten „Ewigkeitskosten“. Sie entstehen durch die immerwährende Notwendigkeit zum Abpumpen des Grundwassers. Das nach dem Abbau der Kohle rekultivierte Umland liegt bis zu 12 m tiefer als früher und würde ansonsten unter Wasser stehen.
Beeindruckt zeigte sich die Besuchergruppe auch von der theologisch begründeten Position des Ev. Kirchenkreises Jülich zur Braunkohle als fossilem Energieträger, die bereits im Jahr 1988 formuliert wurde. Dass aus Grundsatzbeschlüssen Taten folgen können, zeigten die erfolgreichen Bemühungen um die Senkung des Energieverbrauchs in kirchlichen Gebäuden. Bundesweit einmalig ist die Energieeinsparung im Gemeindezentrum Heinsberg, wo durch konsequente Umrüstung 92 Prozent Energie gespart wurde. Laut einstimmigem Synodenbeschluss des Kirchenkreises Jülich sollen kirchenkreisweit 30 Prozent Energie eingespart werden. „Vorbildlich“, kommentierte Manfred Fischer. Auf der Rückfahrt mit kurzem Stopp im historischer Hambacher Forst, dessen wertvoller Baum- und Tierbestand dem geplanten Ausbau des Tagebaus zum Opfer fallen soll, stieß Manfred Fischers Appell zur Solidarität mit den betroffenen Menschen, zum Energiesparen und zum Einsatz für den Ausbau der regenerativen Energie auf offene Ohren. Denn welche Folgen es hat, wenn die Ressourcen der Erde ausgeplündert werden, war den Teilnehmenden der Fahrt eindrücklich vor Augen geführt worden.